Mitglieder erzählen

Jola Ebert (4. Kyu), Oktober 2015

Sag niemals nie – das ist seit 2012 mein Motto.
Mein Sohn hat ADHS und soll laut Psychologe, Karate trainieren. Ich wollte nicht, dass er irgend wo trainiert, wo er zum Schläger wird. Ich wollte ein Dojo finden, in dem die Werte wie Disziplin, Selbstkontrolle, aber auch Gelassenheit und Spaß im Vordergrund stehen. Ich musste auch nicht lange suchen. In einem Gespräch mit einem Nachbarn erfuhr ich, dass er selbst Karate trainiert und mir zwei Dojos empfehlen kann. Dummerweise fing er sofort an, mich zum Karate zu überreden. Mein promptes „niemals„ hat er ignoriert. Für alle meine Zweifel hatte er eine Antwort:
Mit 50 ist es zu spät mit Karate anzufangen – quatsch, das älteste Mitglied ist 74 und trainiert erst seit 2 Jahren.
Ich bin nicht mehr so beweglich wie früher – macht nichts, du machst es so gut, wie du kannst. Niemand wird mehr verlangen, als du schaffen kannst.
Und so weiter und so fort.
Er brauchte einige Stunden, um mich zu überreden, zum Info-Treffen zu gehen. Das war mein erster Schritt, dann kam der zweite – der Schnupperkurs.
Ich schreibe, wie es war: es war toll!
Eine kleine Nebenwirkung gab es aber: den Tag nach dem Training und auch die Nacht nach dem Training. Ich war zwar mal sportlich und gelenkig – das war aber im 20. Jahrhundert gewesen. Dann kamen aber die Kinder und meine einzige sportliche Aktivität bestand aus: den Kindern hinterher laufen, Geburtstagstorten backen, Hausaufgaben prüfen usw. Dafür waren die meisten Muskeln nicht nötig und blieben ungenutzt. Im Schnupperkurs hatten sie sich wieder gemeldet. Und wie!
Manchmal weckte mich mein eigenes Stöhnen und das Aufstehen war plötzlich sehr anstrengend und kompliziert. Zum Glück war ich stur und blieb dabei. Es dauerte nicht lange und die Muskeln haben kapiert, dass ich nicht aufgebe und machten endlich mit. Dann kam der dritte Schritt: ich wurde Mitglied bei Bushido Selztal. Und nach drei Jahren bin ich immer noch begeistert und aktiv, wie am Anfang. Ich kann alles verpassen außer mein Training. Wenn ich zu Hause sage, mir geht es nicht gut. Ich lege mich hin. Dann sagt mein Mann: „ist gut, Schatz. Mach das.„ Wenn ich aber sage, mir geht es nicht gut. Ich gehe nicht zum Training. Dann springt mein Mann auf, weil er weiß, mir geht es wirklich sehr schlecht.
Ich gehe auch auf Lehrgänge, wo ich von anderen Trainern lerne und viele tolle Leute kennen lerne. Und das ist schön dabei: man trifft sich immer wieder, verbringt gemeinsam eine tolle Zeit und geht nach Hause mit dem Gefühl, etwas für sich selbst getan zu haben.
Meine Freundin hat mich irgendwann gefragt, warum ich ausgerechnet Karate trainiere. Und wozu eigentlich. Wenn ich ganz alt werde und irgendwann versucht jemand, mir die Handtasche aus der Hand zu reißen, dann wird er eine Überraschung erleben. Als ich das antwortete, wusste ich noch nicht, wie wahr es werden würde: Vor einem Jahr (als noch bevor ich ganz alt wurde) hat mich ein betrunkener Mann in der Straßenbahn angegriffen, nur weil ich gerade da war, und er an mir vorbeiging. Ich bin von Natur aus friedlich und meide Rangeleien, aber damals hat meine Hand fast von selbst reagiert. Ich habe seinen zweiten Schlag abgewehrt und gekontert. Ich gebe zu, es sah nicht so aus, wie beim Training, aber ich war nicht wehrlos. Der Überraschungseffekt hat auch gereicht, um eine Prügelei zu vermeiden. Der Mann gab auf. Er hat bestimmt später erzählt, der Gegner war in der Überzahl 🙂
Dieser Vorfall hat mir aber klar gemacht: man soll jeglichem Streit aus dem Weg gehen und nie übermütig werden. Wenn es aber absolut nicht anders geht, ist man (und auch Frau) nicht ganz wehrlos.